Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV)

Gemäss Art. 356 Abs. 1 OR stellen Arbeitgeber oder deren Verbände und Arbeitnehmerverbände gemeinsame Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse der beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf.

Es handelt sich folglich um einen Vertrag auf überbetrieblicher Ebene.

Der Gesamtarbeitsvertrag kommt durch übereinstimmende gegenseitige Willensäusserungen der Parteien zustande (vgl. Art. 1 OR).

Der Abschluss bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form (Art. 356c Abs. 1 OR).

Der Gesamtarbeitsvertrag endigt durch (ordentliche oder ausserordentliche) Kündigung, durch einen Aufhebungsvertrag oder, wenn der befristet ist durch Zeitablauf.

Beteiligte GAV-Parteien

Vertragsparteien

Wie bereits erwähnt kann auf der Arbeitnehmerseite nur ein Verband Partei des Gesamtarbeitsvertrages sein, wogegen es auf der Arbeitgeberseite sowohl ein Arbeitgeberverband wie auch ein einzelner Arbeitgeber sein kann.

Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände

Die Verbände müssen hingegen bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, damit sie tariffähig sind:

  • Der Verband muss eine juristische Person sein.
  • Der Verband muss von der Gegenseite unabhängig sein.
  • Der Verband muss von Dritten (Staat, Kirche etc.) unabhängig sein.
  • Der Verband muss auch das Ziel haben die Arbeitbedingungen zu gestalten.

Arbeitgeber

Dem Arbeitgeber kommt von Gesetzes wegen die rechtliche Eigenschaft zu, Gesamtarbeitsverträge abzuschliessen (Tariffähigkeit). Es müssen keine speziellen Voraussetzungen erfüllt werden.

Mehrheit von Parteien

Auf der Arbeitnehmerseite kommt nur Mehrheit von Gewerkschaften in Frage. Auf der Arbeitgeberseite können mehrere Arbeitgeberverbände, mehrere Arbeitgeber oder beide zusammen stehen.

Weitere Parteien

Nach Art. 357 Abs. 1 OR gelten die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages während dessen Dauer unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zu diesen gehören die Mitglieder der vertragschliessenden Verbände, die Angeschlossenen, sowie die Arbeitnehmer und Arbeitgeber kraft Allgemeinverbindlicherklärung

Anschluss

Einzelne Arbeitgeber und einzelne im Dienst beteiligter Arbeitgeber stehende Arbeitnehmer können sich mit Zustimmung der Vertragsparteien dem Gesamtarbeitsvertrag anschliessen (Art. 356b OR). Der Gesamtarbeitsvertrag kann den Anschluss näher regeln.

Allgemeinverbindlicherklärung

Die Allgemeinverbindlichkeit des Gesamtarbeitsvertrages beschränkt sich auf Wirtschaftszweige mit vielen Kleinbetreiben (z.B. Coiffeur- oder Gastgewerbe). Zuständig für die Allgemeinverbindlichkeit ist der Bundesrat bzw. der betroffene Kanton mit Genehmigung des Bundes. Die rechtlichen Grundlagen finden sich im Bundesgesetz vom 28. September 1956 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitverträgen.

Weiteres

Ferner können schuld- oder mitgliedschaftsrechtliche Verpflichtungen bestehen, gesamtarbeitsvertragliche Bestimmungen einzuhalten. Der Gesamtarbeitsvertrag oder die Statuten eines Arbeitgeberverbandes können Bestimmungen enthalten, wonach vertragsgebundene Arbeitgeber verpflichtet sind die arbeitsvertraglichen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags auch gegenüber nichtbeteiligten Arbeitnehmern anzuwenden. Zudem können die Parteien des Einzelarbeits-vertrages vereinbaren, dass ein bestimmter Gesamtarbeitsvertrag auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbar sein soll.

Inhalt

Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen schuldrechtlichem und normativem Inhalt.

Schuldrechtlicher Inhalt

Der schuldrechtliche Inhalt besteht aus gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen, welche ihre Wirkung zwischen den vertragsschliessenden Parteien entfalten. Ein Teil der Rechte und Pflichten der Parteien beruhen unmittelbar auf dem Gesetz (Art. 357 OR), weitere können durch Gesamtarbeitsvertrag selbst begründet werden (Art. 356 Abs. 3 OR). Die wichtigsten Pflichten sind:

Einhaltungspflicht

Die Vertragsparteien sind verpflichtet für die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrags zu sorgen (vgl. Art. 357a Abs. 1 OR).

Durchführungspflicht

Die Durchführungspflicht ist die Pflicht zum Vertragsvollzug sowie zur Erfüllung der gesamtarbeitsvertraglich festgelegten Aufgaben.

Einwirkungspflicht

Die Verbände haben gemäss Art. 357a Abs. 1 OR auf ihre Mitglieder zwecks Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages einzuwirken und nötigenfalls die statutarischen und gesetzlichen Mittel anzuwenden.

Friedenspflicht

Gemäss art. 357a Abs. 2 ist jede Vertragspartei verpflichtet, den Arbeitsfrieden zu wahren und sich jeder Kampfmassnahme zu enthalten, soweit es sich um Gegenstände handelt, die im Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind.

Normativer Inhalt

Normative Bestimmungen sind Bestimmungen über den Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten und nicht wegbedungen werden können (Art. 357 Abs. 1 OR). Vereinbart werden diese Bestimmungen zwischen einem Arbeitgeberverband (oder einem einzelnen Arbeitgeber) und einem Arbeitnehmerverband. Die Wirkungen treten hingegen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer ein.

Diese Bestimmungen lassen sich auf individueller Ebene durchsetzen, wie wenn sie direkt zwischen den Einzelvertragsparteien vereinbart worden wären.